aus dem General Anzeiger vom 26.05.2025
Mit ihren schwarzen Anzügen wollen sie sich vom männerdominierten Kampfsport abgrenzen. Der Anzug von Saskia Schottelius hat grellblaue Verzierungen. „Expect the unexpectet“ („Erwarte das Unerwartete“) steht in japanischen Schriftzeichen auf ihrem schwarzen Gürtel. Sie sitzt in der Ecke des Trainingsraums in der Endenicher Frongasse. Seit 1997 wird hier auf den Holzdielen trainiert, was Schottelius als feministisches Karate vorstellt. „Ich bin bekennende Feministin“, sagt sie.
Die 62-Jährige ist Gründerin, Vorsitzende und Sensei des gemeinnützigen Vereins „Chikara-Do“. Frauen und Mädchen lernen die Kampfkunst Shuri-ryū-Karate, Stockkampf, Elementen aus Tai Chi Chuan und Qigong, Selbstbehauptung und Selbstverteidigung. Dieser Stil kommt ursprünglich aus Japan. Durch den Zweiten Weltkrieg ist er über die USA und Niederlande nach Deutschland gelangt – und hat auf diesem Weg auch den feministischen Einschlag bekommen.
„Feminismus ist, sich auf die Stärken von Frauen zu konzentrieren“, sagt Schottelius. Jede Woche verbring sie zehn bis zwanzig Stunden in der Kampfkunstschule, alles ehrenamtlich. „Ich habe mir auf die Fahne geschrieben, Frauen stark zu machen und Kinder zu schützen“, sagt die Bonnerin. Das ist ihr mit Blick auf ihr eigenes Leben besonders wichtig. „Ich komme aus einer schweren Geschichte“, erzählt sie. Jetzt schaut sie sich im Raum mit den tiefen Fenstern und deckenhohen Pflanzen um. „Viel Schweiß und Tränen haben hier den Boden gefunden, viel Geschichte“, sagt Schottelius und klopft auf den Holzboden.
Sie selbst hat die feministische Kampfkunst mit 31 Jahren für sich entdeckt. Vorher hat sie bereits Leistungssport gemacht, im Fechten. Als sie gerade ihre Promotion in Germanistik, Kommunikationsforschung und allgemeine Sprachwissenschaften abgeschlossen hatte, nahmen ihre Freundinnen sie das erste Mal mit zum Karate in der Bonner Heerstraße.
Die Gruppe war auch politisch aktiv: Am 8. März, dem feministischen Kampftag, haben sie auf dem Münsterplatz Selbstverteidigung gezeigt, erinnert sich Schottelius. „Das hat mich total ergriffen“, sagt sie. Die neu gewonnene Begeisterung hat sie auch mit auf ihre vielen Reisen genommen. „Ich habe überall, wo ich war, immer Kampfkunst trainiert“, sagt sie. Den Anzug, den sie jetzt trägt, hat sie vor 23 Jahren aus Sydney mitgebracht. In China hat sie eine Tai-Chi- und Qigong-Ausbildung gemacht, hartes Muay Thai (Thaiboxen) in Thailand erlernt, erzählt sie und zeigt auf ihre Beine, die zu dieser Zeit voller blauer Flecken waren. „Beim Karate habe ich das meiste in meinem Leben gelernt“, sagt Schottelius. Die eigene Kampfkunstschule wurde damals 1995 in der Friedrichstraße verwirklicht, zwei Jahre später folgte die Vereinsgründung.
„Kampfkunst ist das, was ich bin“, sagt Schottelius. Anders als beim Kampfsport steht eine Philosophie im Hintergrund, es geht nicht nur um den Wettbewerb, ist nicht brutal, erklärt sie. Dazu gehören auch die Samurai-Tugenden, wie Geduld und Großzügigkeit. Das „Do“ im Vereinsnamen steht für Weg, also die Persönlichkeitsentwicklung, betont sie immer wieder. „Chikara“ bedeutet Lebensenergie. „Wenn du dich für Kampfkunst entschieden hast, ist alles, was du tust, immer Kampfkunst“, sagt sie – selbst Spazieren gehen und Geschirr einräumen.
Die dreißigjährige Geschichte des Vereins ist sorgfältig in sechs Fotoalben dokumentiert, die jetzt aufgeschlagen am Rand des Raumes liegen. Bis 2022 hieß der Verein noch „Chikara – Frauen in Bewegung“. Dass sie diesen Namen geändert haben, hat auch mit einem Drohanruf zu tun. „Das ging echt unter die Haut“, sagt Schottelius und beschreibt die tiefgehenden Drohungen auf dem Anrufbeantworter. Der Verein hat Anzeige gegen Unbekannt gestellt und Konsequenzen gezogen: Der Name „Frauen in Bewegung“, so Schottelius, bot möglicherweise zu viel Angriffsfläche. Schottelius erzählt von Schmierereien oder Brandlöcher auf Plakaten und zusammengetretenen Aufstellern. „Da haben wir schon oft gedacht: Wir brauchen wirklich einen langen Atem“, sagt sie. Andauernd begegnen Schottelius als Frau in der Kampfkunst auch Vorurteile, etwa wenn die Sportlerinnen als „Chikara-Mädels“ verniedlicht werden. „Es ist wichtig, dass Frauen sich unter Frauen stärken“, betont Schottelius deshalb.
Was Mädchen und Frauen Verletzendes erleben, ist nicht leicht fassbar, weiß sie. Angriffe auf Frauen sind oft subtil, auch durch das Internet. Im Verein spielen sie auch Mobbing in Rollenspielen durch. „Es kommen viele traumatisierte Frauen zu uns“, erzählt Schottelius. „Jede dritte Frau, der wir begegnen, hat in irgendeiner Form übergriffiges Verhalten erlebt“, betont sie. Schottelius ist es wichtig, das Problem nicht zu übergehen.
Vor allem Mädchen, die neu dazukommen, sind zunächst oft schüchtern, beobachtet sie. „Viele empfinden sich nicht als schön.“ Ein Satz, den sie deshalb oft sprechen: „Ich bin schön, ich bin stark, ich kann das.“ Eine Veränderung ist oft schon nach wenigen Stunden sichtbar, bemerkt Schottelius. Einige Frauen kommen mit dem Plan, allein reisen zu können, in die Frongasse. „Das finde ich ein ganz wichtiges Ziel, denn das bedeutet Freiheit“, sagt sie.
Nach 30 Jahren Kampfkunstschule zieht Schottelius Bilanz: Ungefähr 3000 Frauen hat der Verein durch das Training und Seminare mit der Kampfkunst vertraut gemacht. In wenigen Minuten wird hier auch ihre Enkelin über den Holzboden laufen – in einem schwarzen Karate-Anzug.













